CD-Preview: ASP – Kosmonautilus

Endlich geht es weiter!

2019 kehren ASP zurück zum Erzählzyklus „Fremder“ und bringen die im Top-Ten-Album „fremd“ begonnene Reise und mit dem Platz-2-Album „MaskenHaft“ vertiefte Story zu einem neuen Höhepunkt. Die direkte Fortsetzung des gefeierten dritten Teils „zutiefst“ geht noch einen Schritt weiter und zeigt sich hochemotional, detailverliebt und vor allem extrem catchy. Jeder Song weiß mit seiner eigenen fantastischen Handlung zu fesseln, und dabei geht Mastermind Asp Spreng geradezu lustvoll ans Werk. Auch wenn das Album wie immer lyrisch anspruchsvoll ausfällt und dem ASP-Fan viele Anspielungen und Rückbezüge bietet, spürt man bei „Kosmonautilus“ eine Energie, die geradezu im Widerspruch zu der Komplexität und Tiefgründigkeit der Texte zu stehen scheint. Die Hitdichte konnte noch einmal gesteigert werden. Hier reiht sich ein Gothic-Novel-Rock-Hammer an den anderen, und ein zukünftiger Live-Evergreen jagt den nächsten. Der Fremder-Zyklus erzählt die Geschichte des Reisenden, der viele verschiedene Realitäten und Welten besucht, auf dem mittlerweile vierten Album – und es wird noch nicht das Ende der Odyssee sein. Während sich der erste Teil, „fremd“, genau um dieses Gefühl in diversen Facetten dreht – um dieses Gefühl des Fremd-Seins, des Außen-Stehens, des Sich-allein-Fühlens –, verschärft sich die emotionale Kraft gerade zu Beginn von „MaskenHaft“ enorm. Nun erlebt der Hörer den Verlust der Freiheit, die ultimative Isolation und die Vernichtung alles Individuellen – bevor der Protagonist aufbrechen kann, auf Wanderschaft geht und raue Pfade betritt. Bis er sich am Rande einer Klippe hängend wiederfindet und – hier beginnt „zutiefst“ – ins Meer fällt. Nun werden die Abenteuer zwischen U-Booten, Tiefseeungeheuern und falschen Leuchtfeuern weitererzählt. Dabei geht die Band dieses Mal besonders geschickt vor: Auf den ersten Blick scheint alles beim Alten, das Erfolgsrezept weiter verfeinert worden zu sein. Und doch: Der Mut und die Experimentierfreudigkeit zeigen sich im musikalischen wie im textlichen Detail. Wieder werden unbekannte Genregrenzen klammheimlich überschritten, wieder erfindet sich die Band neu, dabei schleichend, behutsam und ohne plakativ zu Werke zu gehen. Gut erzählte musikalische Geschichten stehen nach wie vor im Vordergrund, und so präzise fabulierte Asp nie zuvor. Es kristallisiert sich deutlich heraus: Obwohl sämtliche Songs gut für sich allein funktionieren, hängt alles irgendwie zusammen. Der ASPsche Kosmos offenbart sich mehr und mehr. Wie Schmetterlings-Zyklus und Fremder verwoben sind, entfaltet sich für alle, die sich darauf einlassen. Für die anderen bleibt es das wohl Gewiefteste und Unterhaltsamste, was der düstere Musikbereich zu bieten hat.

Das neue Album kommt am 29.11.19 mit 15 geilen Nummern die eingefleischten ASP Fans mehr als nur gefallen werden.  Altbekannt und dennoch neuwirkend gekleidet laden die Nummern schnell zum mitwippen und mitsingen ein. Man spürt die Energie und die Liebe die ASP niemals in seinem Schaffen vergisst. Die Geschichten sind detailreich und man kann sie beim hören vor dem inneren Auge abspielen wie ein Video. Es wird nie langweilig , an keiner Stelle des Albums;  man erwartet voller Vorfreude den nächsten Song sobald einer endet. Da tummeln sich lebendig gewordene Tattoos und untote Meeresgötter genauso wie ruhelose Geister von in die Irre geführten Seeleuten. Und das soll Spaß machen? Das tut es. Sogar sehr. ASP reisst uns einmal mehr vom Hocker und man kann nichts anderes als „unbedingt reinhören“ empfehlen.

ASP – Kosmonautilus

Veröffentlichung: 29. November 2019 – Trisol Music Group (Soulfood)
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Das Album könnt ihr hier erhalten: Lim. 3CD Box | 2CD (Digibook Edition) | Vinyl | Digital Download

Wie fühlt es sich an, wenn ein neues Werk vollendet ist, in das du abermals all deine Energie, Zeit und Kreativität investiert hast? Ist man danach leer oder doch eher aufgeregt und fiebert voller Vorfreude der Veröffentlichung entgegen?

Asp: Dieses Mal überwog die Leere. Als ich für unser Jubiläumsjahr, 20 Jahre ASP, frecherweise entschieden hatte, nicht nur so etwas wie eine neue Best-of-CD, sondern direkt ein neues Album zu veröffentlichen, fühlte sich das richtig und gut an. Denn es zeigt, worum es bei ASP geht: neue Musik und neue Geschichten! Dennoch sind wir auch in die Vergangenheit eingetaucht und spielten eine aufwändige Jubiläumstournee, die uns während des Produktionszeitraums der neuen CD am Ende dann doch sehr viel Energie gekostet hat. Man spürt dann, dass man keine 30 Jahre mehr alt ist, denn Songs zu schreiben ist eine sehr intensive Arbeit. Im Nachhinein weiß ich auch, dass es für unseren Kräftehaushalt besser gewesen wäre, wenn diese neue Platte nicht volle 79 Minuten Spielzeit hätte, sondern nur etwa 65 Minuten. Wir geben immer zu 100 % Vollgas, manchmal auch zu 120 %, und am Ende haben wir, speziell unser Gitarrist und Produzent Lutz Demmler und ich, das definitiv gespürt. Wir sind mit allem, was wir hatten, glücklich über die Ziellinie gekommen – und blieben dort dann liegen. Nach der Abgabe der Masterbänder an unsere Plattenfirma Trisol ging zwei Wochen lang erst einmal rein gar nichts mehr. In dieser Zeit war mein einziger Wunsch, ganz viel zu schlafen. Es steckt alles, was wir haben und hatten, in diesem Album. Bei uns ist das nicht nur das Herzblut, sondern jegliche Energie, die wir besaßen. Dieser überlastete Muskel beginnt sich jedoch momentan wieder mehr und mehr zu entspannen.

 

Hört man das durchweg homogene Ergebnis, so schließt man daraus, dass der Songwriting-Prozess ohne größere Stolpersteine verlief. Wie betrachtest du diese Phase rückblickend?

Asp: So war es tatsächlich! Dadurch dass uns dieses Werk so leicht von der Hand ging, passierten auf der Zielgeraden noch Dinge, von denen ich gesagt habe: Dies und jenes darf und muss noch auf das Album kommen. Wenn der Flow mal da ist, muss man ihn auch nutzen. Auch wenn diese Scheibe sehr homogen wirkt, so besitzt sie doch sehr viele, kleine, rebellische Musikmomente, die man in dieser Form bei ASP noch nie gehört hat. Es ist schön zu erleben, wie all dies Gestalt annimmt und trotz diverser musikalischer Ausflüge am Ende wieder zu einem Ganzen wird.

Was den homogenen Klang betrifft, so hat uns unser alter Freund Vincent Sorg dieses gewisse i-Tüpfelchen bieten können. Bereits von seinen ersten Mixen waren wir vollkommen begeistert. Ich vermute, dass wir uns über die Jahre hinweg so gut kennengelernt haben, dass er mit dieser verqueren ASP-Welt seinen Frieden geschlossen hat und sich darauf wirklich total gut einlassen konnte. Am Ende ist es vermutlich ihm zu verdanken, dass die CD vom Sound her so ein tolles, einheitliches Werk geworden ist.

Welche der Nummern entstand denn so unverhofft am Ende des gesamten Kreativprozesses?

Asp: Ungeplant war das nicht wirklich, aber das beste Beispiel sind wohl die drei „Abyssus“-Teile, die am Ende dann doch etwas ausufernder ausfielen. Aber das durfte dann auch so sein! Hierauf hatte ich die Möglichkeit, noch etwas mehr von der Geschichte zu erzählen und preiszugeben, als ich es ursprünglich vorgehabt hatte. Und seien wir mal ehrlich: Wenn ein Song ohnehin schon über zehn Minuten geht, so kommt es auf zwei bis drei weitere Minuten auch nicht mehr an. Gerade dort entstanden dann auch Dinge, die vorher in dieser Form bei ASP noch nicht stattgefunden haben. Glücklicherweise hat das alles super funktioniert und so landeten Passagen darauf, die eigentlich erst für die nachfolgende Veröffentlichung vorgesehen waren.

Deine ersten Worte auf dem neuen Album lauten: „Zurück zum Start …“ Das sind große Worte, die unheimlich viel bedeuten können: Neunbeginn, Rückbesinnung oder der Anfang von etwas Großem. Welche Bedeutung haben sie für dich im Hinblick auf das neue Epos?

Asp: Diese Idee stand schon zu Beginn, denn so endete das Vorgängeralbum „zutiefst“, und genau dort wollte ich anknüpfen. Das erste Stück heißt „Rückfall“, und eben dieser Rückfall bezieht sich auf die Entwicklung, die wir auf „zutiefst“ vollzogen haben, einem Album, das gezielt auf einen Höhepunkt zusteuert, ehe es in sich zusammenfällt und von ganz unten wieder neu beginnt. Aus diesem Grund sind diese Alben so eng miteinander verknüpft; ich wollte das Gefühl vermitteln, das jeder von uns kennt, wenn all unsere Bemühungen auf einen Schlag in sich zusammenfallen. Oder wenn wir in alte Muster zurückfallen, obwohl wir uns in gewissen Dingen sehr viel Mühe geben, sei es eine Sucht zu überwinden oder Menschen aus unserem Leben zu bekommen, die uns nicht guttun.

Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten, wie man auf den Nullpunkt zurückfallen kann und dann wieder von ganz vorne beginnt. Auf diesem Null-Niveau wollte ich das nächste Album beginnen und eine neue Entwicklung auslösen. Der Song nimmt über seine Spielzeit hinweg enorm an Energie zu und stellt für mich einen unglaublich intensiven Moment dar, weil ich über dieses sich aufbauende Energielevel die Hörer zu mir holen und in die Erzählung zurückführen möchte. Im Grunde ist es der Auftakt einer Fortsetzung, und ich versuche die Leute durch diesen Song wieder einzubinden.

Hast du gewisse Parts dieses Tracks selbst schon durchlebt, sprich den „SOS-Ruf, der ins Leere funkt“ selbst schon abgegeben?

Asp: Ja, denn das Autobiographische ist natürlich immer mit dem verwoben, was man erzählt. Aber wenn ich als Erzähler „denke“, dann denke ich nicht nur daran, was ich erlebt habe, sondern daran, was mich mit dem Hörer verbindet. Das sind oftmals allgemeine Situationen, die jeder von uns erleben kann. Es ist bekannt, dass bei ASP sehr vieles kryptisch und rätselhaft ist. Umso entscheidender ist es, auf emotionaler Ebene eine Bindung zum Hörer herzustellen. Das ist mir unheimlich wichtig, denn ich glaube fest daran, dass nur mit dem Hörer das Werk komplett ist. Was den „Fremder“-Zyklus so stark ausmacht, ist, dass er immer emotional nachvollziehbar ist, ganz gleich wie rätselhaft alles scheint. Ich glaube auch, dass ich über die emotionale Ebene den Hörer viel eher erreiche als über das anspruchsvolle Lyrische oder Musikalische. Es öffnet die Türen. Letztendlich ist es immer eine Frage der Perspektive. Für Leute, die sehr viel Prog Metal hören, sind ASP vermutlich nicht so verquer. Aber für Leute, die aus der anderen Richtung kommen und viel Gothic hören, sind wir schon ganz weit über das hinaus, was sie gewohnt sind zu hören. Wir haben diese düsteren Welten zwar schon ein wenig miteinander verbunden, dadurch dass wir nicht zu platt und unbedingt eingängig sind. Es gibt immer wieder Leute, die fragen, wie ASP erfolgreich sein kann, obwohl es doch so verkopfte Musik ist. Irgendwann stellte dann jemand fest, dass es wohl genau deswegen so ist. Vielleicht ist das unsere Nische.

Grundsätzlich besitzt „Kosmonautilus“ wieder einen übergeordneten roten Faden, und dennoch steht jeder Song ebenso wieder für sich alleine. Das ist ein Kunstgriff, der dir inzwischen sehr gut gelingt. Dein übergeordnetes Ziel war jedoch, den vierten Teil des „Fremder“-Zyklus und damit die direkte Fortsetzung von „zutiefst“ zu kreieren?

Asp: Das ist richtig, und das für mich sehr Komfortable am „Fremder“-Zyklus ist dieses kaleidoskopartige Erzählen. Das heißt, alles, was ich erzähle, muss nicht in einer logischen Abfolge stattfinden, wie es z. B. bei einem Roman oder einem Film der Fall wäre. Nun nähern wir uns allmählich dem Punkt, an dem sämtliche Fäden, die ich gesponnen habe, für den aufmerksamen Hörer so langsam zusammenlaufen. Das macht es für mich in der Erzählung zwar nicht unbedingt leichter, wenn ich mich später in Interviews um die berühmte Frage „Worum geht es denn auf dem Album?“ herumdrücken muss. Nun tauchen Dinge auf, welche die ASP-Fans, die uns schon lange begleiten, wiedererkennen werden. Gewisse Motive tauchen auf, finden ihre Fortsetzung sowie auch Endpunkte und geben dem Hörer dieses gewisse Kurz-vor-dem-Höhepunkt-Gefühl, da sie erkennen, dass nun gleich etwas geschieht. Deshalb wird das nächste Album den „Fremder“-Zyklus abschließen, wodurch sich sehr vieles von den Dingen, die jetzt erzählt werden, auflösen wird. Dann kommt zum ersten Mal der Moment, in dem vieles konkreter wird, und dennoch muss mir dabei abermals die Gratwanderung gelingen, dass viele Songs erneut für sich alleine stehen können. Das wird nicht einfacher, wenn man auf das Ende einer Geschichte zusteuert, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass das hinhaut.

Es scheint, als würde dich der „Fremder“-Zyklus keinesfalls in ein Konzept-Korsett zwingen und dass du damit auch eine Thematik gefunden hast, in der du dich vollkommen befreit austoben kannst.

Asp: Vielleicht liegt das daran, dass der „Fremder“-Zyklus konkreter mit mir selbst zu tun hat als beispielsweise der „Schmetterlings“-Zyklus. Das Gefühl, in dieser Welt fremd zu sein, ist ein zentraler Punkt in meinem Leben und stellt etwas dar, das sich nicht eben löst. Natürlich hofft man immer, dass man sich irgendwann einfügt und anpasst, doch bei mir hat sich das nie wirklich eingestellt. Ich fühle mich selbst als Fremder, weshalb mir diese Erzählung wohl so leichtfällt. Ich brauche nur ein Blinzeln, um wieder in meiner eigenen Erzählwelt drin zu sein. Das hilft, und das Thema verliert dadurch auch nie an Dringlichkeit. Würde ich mich plötzlich in dieser Welt wohlfühlen, könnte ich die Geschichte unter Umständen gar nicht mehr weiter bzw. zu Ende erzählen.

An diesen Punkt bist du jedoch noch nie gelangt? 

Asp: Es ist sowohl eine Angst als auch eine Hoffnung. Natürlich möchte man sich nicht als Außenseiter fühlen, denn das ist im Endeffekt nichts Schönes. Wir alle suchen Anschluss und in irgendeiner Form Akzeptanz in der Gesellschaft. Oder auch einfach diese Gleichvibration, die man mit dem Universum, in dem man sich befindet, braucht. Wenn man das nicht hat, fühlt man sich so, als stünde man weder mit sich selbst noch mit der Welt im Einklang. Ich selbst habe mir eingestanden, dass es letztendlich diverse kleine Bereiche gibt, in denen ich mich zu Hause fühlen kann.

„Morgengrauen irgendwo“ ist die zweite Single und eine Nummer, die abermals sehr viel Hoffnung versprüht. Deine Gedanken darin sind sehr tiefgründig und ehrlich. Du scheinst in jedem noch so tiefen Dunkel immer auch ein Licht zu sehen.

Asp: Unbedingt. Ich möchte das nicht zu drastisch ausdrücken, aber würde ich dieses Licht im Dunkeln nicht sehen, dann wäre ich nicht Künstler, sondern tot. Dann hätte ich das Leben irgendwann losgelassen. Aber so ist es nicht, denn dieser tiefe Glaube, dass am Ende alles gut werden kann, ist tief in mir verankert. Ich glaube daran, dass man Schönheit finden kann, dass man Liebe finden kann – sie ist überall, man muss nur Zugang zu ihr finden. Dem einen fällt das leicht, dem anderen extrem schwer. Einer findet seine Erfüllung draußen in der Natur, der andere findet sie in der Beziehung oder gar in beidem. Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass man, wenn man selbst ein melancholischer Mensch ist, anderen Menschen keine Hoffnung geben wolle. Das ist für mich innerhalb der Musik allerdings ein Motor, denn ich glaube, dass nur derjenige, der weiß, wie sich Abgründe anfühlen, auch versteht, wie sich Menschen fühlen und wie man diesen ein gutes Gefühl geben kann. Vermutlich habe ich deshalb traurige Musik schon immer als etwas empfunden, das mich glücklich macht und mir wieder einen Zugang zur Welt gibt. Es macht mich nicht depressiv, sondern verschafft mir ein erhabenes Gefühl, mit dem ich gerne arbeite. Deshalb hoffe ich, dass dieses Gefühl der Hoffnung überall mitschwingt und sich mit dem Traurigen in Harmonie befindet.

Es folgt der Titel „Phragmokontrolle“; bitte erkläre uns doch diesen ungewöhnlichen Begriff.

Asp: Der Phragmokon ist der gekammerte Teil eines Nautilus-Gehäuses. Ich glaube, das ist der Punkt, an dem ich den Hörer ein wenig in die Irre geführt habe, als das Album angekündigt wurde. Das klang samt dem Albumtitel alles nach „outer space“, was es aber gar nicht ist. Es geht um den eigenen Kosmos. Das Kosmos-Ich, das jeder von uns mit sich herumschleppt. Das Thema Schneckenhäuser begleitet uns schon sehr lange und stellt ein zentrales Motiv dar: die Gefahr und die Chance, sich auf sich selbst zu konzentrieren und sich darin zu verlieren. Der Phragmokon ist ein gutes Bild dafür und stellt für mich auch eine gewisse Treppe dar, die in sich selbst hineinführt und auch wieder hinaus. Zu kontrollieren, welchen Weg man geht, hinein oder wieder hinaus, ist ein Kernthema, das immer wieder mal hochkommt.

Der Song selbst fordert dazu auf, etwas zu ändern, eine Wendung herbeizuführen, und dennoch lässt du gekonnt auch wieder alles offen.

Asp: Das Offenlassen ist deshalb so wichtig, weil es eigentlich der Schlüssel der unbeantworteten Frage ist. Der Hörer bekommt keine Antwort, diese wird er bei mir nicht finden, sondern nur bei sich selbst. Das ist für mich mittlerweile eine sehr bedeutende Erzählstruktur geworden, dass ich dem Hörer den Platz lasse, die Fragen am Ende selbst zu stellen und sich selbst zu beantworten. Vielleicht lässt sich das mit dem Hilfe-zur-Selbsthilfe-Prinzip erklären. Ich kann natürlich einzelne Leute versuchen hochzuziehen, aber noch viel besser ist es, wenn ich viele Leute dazu bringen kann, dass sie sich selbst aus einem festgefahrenen Muster oder einer schwierigen Situation befreien können. Das klingt nun, als würde ich mit einem medizinisch-therapeutischen Anspruch an diese Sache herangehen, aber so ist das natürlich nicht, denn dafür bin ich nicht ausgebildet. Das passiert automatisch, vielleicht sogar unterbewusst. Eine unbeantwortete Frage bildet eine Lücke, die man als Hörer gerne füllen möchte.

„Abyssus 2“ ist eine der direktesten Nummern und ein waschechter Ohrwurm. Wenn man eine solche Nummer schreibt, ist einem direkt bewusst, dass hier ein künftiger Live-Klassiker gelungen ist bzw. dass man eine großartige Single komponiert hat?

Asp: Ich bin im Laufe der Jahre unglaublich zurückhaltend geworden, denn ich lag mit einer solchen Einschätzung sehr oft daneben. Der Untertitel von „Abyssus 2“ lautet „Musik“, und eine der Erzählebenen ist, was Musik in einem berührt. Ich wollte dieser Nummer eine Form verpassen, die einen absolut mitreißt! Mitreißen heißt für mich, dass ich vor allem auch an Live-Situationen denke. Daher muss ich zugeben, dass der Track schon sehr stark geplant war, aber auch vermitteln soll, worum es mir geht. Dieser Satz „Musik, hörst du nicht dein Kinderweinen?“ ist für mich ein Schlüssel zum Album und zu allem, was ASP ausmacht. Deswegen muss es auch ein Song sein, den ich live spielen und mit einem Hinweis ansagen kann, worum es dabei geht. Was passiert in uns, was stellt Musik mit uns an? Wir sind berührt, sie trägt einen weg, spendet Trost und verschafft einem emotionalen Zugang zu einer ganz anderen Welt. Mit diesem 13. Album habe ich einen Punkt erreicht, an dem ich reflektiert habe, dass ich gar nicht daran geglaubt habe, dass man mich diese Sache so lange machen lässt.

Dass ich mich so lange durchmogle und keiner bemerkt, was ich da eigentlich treibe. Dass mich überhaupt jemand hören möchte. Irgendwann muss doch jemand bemerken, dass das gar nicht funktionieren kann. Ich musste mir früher immer anhören, dass das nichts wird, und bekam von außen das Gefühl vermittelt: Das ist alles ein großer Irrtum, eine Illusion, die ich lebe, ein Traum, bevor ich aufwache. Daher formuliere ich in dieser Nummer, was mich bewegt, Musik zu machen: selbst berührt zu werden. Ich habe nie aufgehört, mich für Musik zu interessieren, ich kaufe CDs und Schallplatten wie ein Bekloppter, weil es mich einfach interessiert und ich wissen möchte, wie andere Leute versuchen, wieder andere Leute zu bewegen. Es gibt Lieder, da bin ich oft schon in Tränen ausgebrochen, als ich sie hören durfte, und ich bin unheimlich dankbar dafür, dass mich etwas so zum Schwingen bringt und was es auslösen kann. Musik ist für mich der Beweis, dass es in dieser Welt so etwas wie Magie gibt.

Das ist sicherlich der Grund dafür, warum du abermals in deinem Booklet darauf hinweist, Musik nicht über soziale Netzwerke zu teilen, sondern die Künstler durch den Kauf eines Tonträgers, eines Konzerttickets oder von Merchandise zu unterstützen. Oder wie du live gerne drauf hinweist, das Konzert ohne Handy zu genießen.  

Asp: Das ist das Allerwichtigste. Denn wenn man schon die Gelegenheit hat, etwas Großartiges zu erleben, dann muss man sich drauf einlassen. Ich bin ja kein Feind von Smartphones, aber ich glaube, dass sich unsere Welt unter anderem auch deshalb nicht zum Guten wendet, weil wir immer versuchen, alles gleichzeitig zu erleben und zu benutzen. Das wird uns allerdings kein tiefgründigeres Erlebnis verschaffen. Man sollte die Dinge auskosten, wenn sie da sind, und ich glaube vor allem, dass ein Live-Konzert etwas Besonderes ist. Ich mache selbst schon auch mal ein Erinnerungsfoto, aber dieses ständige Mit-dem-Handy-Beschäftigen lenkt nur davon ab, was wirklich zählt. Deswegen ist es mir so wichtig, diese Ansprache immer wieder zu halten. Das funktioniert zwar nur bei einem Teil der Leute, aber ich habe so viele großartige Fans, und diese sagen dann auch zu anderen: „Hey, lass das doch, das stört doch nur“. Und auf einmal herrscht eine ganz andere Atmosphäre auf dem Konzert, und es entpuppt sich als etwas Großes, Spannendes und Schönes. Das Gemeinschaftsgefühl wird dadurch wieder stärker, und das macht einen riesigen Spaß. Ich fühle mich auf eine gewisse Art gesegnet, dass die Leute das so annehmen und mitmachen, als hätten sie die ganze Zeit darauf gewartet, dass jemand das sagt. Viele freuen sich darüber und empfinden das als positiv, stecken ihre Handys weg und erfahren dadurch tatsächlich ein viel größeres Gemeinschaftsgefühl. Ich glaube an viele Dinge, aber an zwei Sachen nicht: Gott und Multitasking. Man macht eine Sache und konzentriert sich darauf und danach macht man die nächste Sache. Ansonsten hätte ich nicht gerade das 13. Studioalbum geschafft.

Wann überlegst du dir bei einem solch gewaltigen Song mit einer derart wichtigen Kernaussage, was du deinem Publikum sagen wirst? Bereitest du das vor, oder entsteht das spontan?

Asp: So weit bin ich in diesem Moment noch gar nicht. Aber ich bin tatsächlich jemand, der seine Ansagen immer plant. Ich improvisiere auch und bin spontan, aber ich habe auf jeder Konzertreise immer eine Liste mit Kernbotschaften. Einfach, weil es Dinge gibt, die ich sagen möchte und von denen ich will, dass sie jeder hört. Ich halte das nicht nur für eine super Gelegenheit, sondern auch für meine Pflicht. Vieles bei uns ist kryptisch und rätselhaft, deshalb finde ich, dass man live ein paar klare Worte finden kann. Wir Künstler sollten doch auf emotionaler Ebene versuchen etwas zu vermitteln, denn die Politik schafft das ja viel zu selten. Im Gegenteil, da gibt es eher eine Anti-Reaktion darauf. Ich finde, es ist unser Job, Sachlichkeit und Emotionalität zu verbinden. Deshalb muss ich zu manchen Themen etwas sagen.

An diesem Punkt muss man einmal mehr die Leistung deiner Mitmusiker, allen voran von Lutz Demmler, würdigen, dessen prägnante Gitarren-Leads stets auf den Punkt zu bringen scheinen, was dir vorschwebt. Versteht ihr beide euch derart blind?

Asp: Nein, blind sicherlich nicht. Aber wir kennen uns schon sehr lange, und die Trefferquote wird immer besser. Dass wir eine Kommunikationsform finden, wie wir uns gegenseitig Dinge erklären und auch wie ich meine Ideen vermittele, verbessert sich immer mehr. Es ist eine große Bereitschaft, wenn sich jemand auf das einlässt, was ich mir in meinem stillen Kämmerlein so ausdenke. Dass jemand versucht, das so nahe wie möglich an meine Vision heranzubringen, obwohl ich Gitarren schreibe, ohne zu wissen, wie sie zu greifen sind. Lutz Demmler ist ein unglaublicher Perfektionist, und ich glaube, er würde nun auch lachen, wenn ich verrate, dass wir in etwa eine 99%ige Trefferquote haben. In 99 von 100 Fällen sage ich: Wow, das ist genauso wie ich mir das vorgestellt habe. Bei dem einen Mal, wenn ich noch skeptisch bin, herrscht dann aber auch Alarm, und das wiegt dann unheimlich schwer. Da wird dann nochmals richtig drüber diskutiert. Das zeigt dann aber auch, was wir für eine Art Mensch sind und wie wichtig es uns im Endeffekt ist, diese 100 % zu erreichen.

„Tritons Fall“ ist die obligatorische Doom-Nummer, der schleppende Melancholiker mit leichten Type-O-Negative-Anleihen und einer unglaublich mächtigen Erhabenheit. Wie empfindest du den Track selbst?

Asp: Obligatorische Doom-Nummer finde ich sehr schön ausgedrückt, denn ich versuche tatsächlich, auf jedem Album eine Nische für eben solche Songs zu finden. Das ist mir total wichtig, und das empfinde ich als eine schöne Facette, die man nicht bei vielen Bands aus unserem Genre hört. Aber es ist natürlich auch so, dass es diese schweren Nummern für entsprechend schwere Themen braucht. Auf „zutiefst“ hatten wir dieses superschwere Stück namens „Leviathan“, das sich mit dem sehr schwierigen Thema Depression beschäftigt. Bei „Tritons Fall“ ist die zentrale Frage die, wie wir mit unserer Welt umgehen. Das Ganze besitzt ein minimales Augenzwinkern, Ironie und Sarkasmus. Es geht darum, wie schnell sich die Welt mittlerweile verändert und wir, die wir hauptsächlich dafür verantwortlich sind, überhaupt nicht mehr hinterherkommen und die Folgen nicht absehen können. Für mich war es sehr faszinierend, mich in ein Wesen hineinzudenken, das sehr lange schläft und heute die Welt betrachtet, um zu sehen, was in der Zwischenzeit passiert ist.

Die Schwere des Songs sollte vor allem das Unterwassergefühl und dieses verlangsamte Schweben in der Dunkelheit untermauern. Die Gitarrenharmonien sind nicht disharmonisch, aber deutlich ungewöhnlich, wodurch meine Vorliebe für Doom Metal zum Ausdruck kommt.

Gab es denn Musik, Künstler oder Alben, die dich direkt oder indirekt während des Entstehungsprozesses von „Kosmonautilus“ beeinflusst haben?

Asp: Eigentlich nicht. Es war eher so, dass viele Sachen, die ich in meiner Jugend gehört habe, auf diesem Album wieder eine größere Rolle gespielt haben. Damit meine ich z. B. die ganz frühen Paradise Lost, deren erste zwei Alben ich damals hoch und runter gehört habe. Es kann sein, dass sich davon etwas in den Nummern wiederfindet, aber auch andere Dinge, die man bei ASP vermutlich nicht erwartet. Es gibt in einem der späteren „Abyssus“-Teile einen Part, da hört man ein wenig Black Sabbath raus. Das ist eine Band, die mich immer begleitet hat, lange in mir geschlummert hat und jetzt eben ausgebrochen ist. Das alles war jedoch nie eine bewusste Entscheidung, sondern kam in manch speziellem Moment wieder hervor, als mich die Themen beschäftigt haben, die in diesen Kapiteln vorkommen sollten. Ein interessanter Aspekt, dass man in vollkommen unterschiedlichen Lebensabschnitten Dinge hervorholen kann, die einen irgendwann einmal beschäftigt hatten. Es ist, als hätte man die rezipierte Musik in die eigene DNS aufgenommen.

 

Holst du diese Elemente dann aus deinem Unterbewusstsein hervor?

Asp: Ich nehme das wahr und versuche dann aber gezielt, sie nicht anzuhören, denn dann würde es passieren, dass man sich in seiner musikalischen Arbeit zu sehr beeinflussen lassen würde. Ich hole mir die Stimmung eher vor dem inneren Auge bzw. dem inneren Ohr zurück. Ich versuche dann nicht, an ein bestimmtes Stück zu denken, sondern daran, was die Band insgesamt für mich ausmacht. Sonst würde das zu weit führen, da würde man sich zu sehr vom eigenen Pfad weglocken lassen, aber so hat das eine innere Ebene, die man mit eigenen Mitteln umzusetzen versucht.

„Eishimmel“ ist eine kraftvolle Nummer, ebenso stark und kräftig wie das Eis an sich. Ist es eine Art Alptraumgedanke für dich, unter dem Eis gefangen zu sein?

Asp: Das ist keine meiner Urängste. Die schlimmere Angst wäre es, ein Dilemma zu erleben, sprich eine Sache, die man nicht lösen kann. Es gibt den Erzähler unter dem Eis und seine Bezugsperson über dem Eis. Wollen sie zueinander kommen, müssen sie diese Grenze durchbrechen. Doch diese Welten sind nicht miteinander vereinbar, denn einer der beiden würde dabei sterben, und diese Ausweglosigkeit wird in dem Stück beschrieben.

 

„Liebes Licht“ klingt im ersten Moment romantisch und ist durchaus auch balladesk konzipiert. Darin verarbeitest du unheimlich tiefsinnige Reime und lieferst damit ein kleines Meisterstück ab. Wie schreibt sich eine solche Nummer, läuft dir ein solcher Text im passenden Moment einfach von der Hand?  

Asp: Ich muss tatsächlich sagen, dass „Liebes Licht“ eines der einfacheren Stücke war. Eine relativ klare Erzählung – und ich glaube, dass ich mich noch relativ gut an den Moment erinnern kann, als ich den Text geschrieben habe. Der Text entstand an einem einzigen Nachmittag, und danach musste ich schlafen, denn das war zutiefst erschöpfend. Ich gönne mir ein solches Stück sehr gerne, das komplett mein Metier ist. Im Grunde ist es eine klassische Ballade, die ich auf jedem Album in gewisser Weise habe. Solche Texte zu schreiben und die passenden Reime zu finden, fällt mir leicht. Da ergibt ein Wort das nächste, darin fühle ich mich total wohl. Vor allem weil es den großen Vorteil hat, dass ich mich nicht kurzfassen muss.

Inhaltlich hat es etwas Romantisches und ist dennoch eine klassische Geistergeschichte, die ich versucht habe mit einer anderen Perspektive auszustatten. Die zentrale Frage dabei ist: Warum kann die Seele nicht aus der Welt? Das ist das Hauptthema, das ich aufgegriffen habe. Warum ist das Licht an der Küste, das den Seemann nach Hause leiten sollte, aus? Die andere Ebene ist die, dass wir alle schon Menschen begegnet sind, die für uns ein solches Licht waren und plötzlich nicht mehr sind. Macht ein solch nahestehender Mensch ein solches Licht aus, so wird man orientierungslos und irrt ebenfalls geister-gleich durch die Welt.

War dir somit gleich klar, dass dieser emotionale, gefühlvolle Song Geigen- und Celloparts benötigt?

Asp: Das hat relativ lange gedauert. Ich wusste, dass ich einen Song mit diesen Instrumenten haben möchte, und ich wusste ebenso, dass es ein Stück gibt, dass diese eben beschriebene Thematik wieder aufgreift. „Liebes Licht“ ist ein Teil jenes Triptychons, das auf „zutiefst“ mit den „Untiefen“ begonnen hat. Diese beiden Stücke sind miteinander verknüpft und fließen ineinander. Das Geigen- und Cello-Thema war tatsächlich auch das erste, das ich für dieses Stück komponiert habe.

Hattest du Nikos Mavridis und Tim Ströhle direkt als Geiger und Cellist im Kopf?

Asp: Ja, denn das sind beides Musiker, mit denen ich in der Vergangenheit bereits zusammengearbeitet habe. Nikos war auf der „Zaubererbruder Live & Extended“-Tournee mit dabei – und wenn ich ihn bekommen kann, dann muss er spielen. Dieser Mann hat einen Ton, der mir einen Schauder nach dem anderen über den Rücken jagt. Tim hat für meine andere Band, Herumor, Cello gespielt.

An achter Stelle folgt „Tintakel“, die erste Singleauskopplung aus dem Album und somit der erste Eindruck, den du deinen Fans vom neuen Album gewährt hast. Ergab sich diese Wahl für dich von selbst?

Asp: Aus mehrere Gründen: ja. Tatsächlich finde ich, dass ein Song, den ich selbst gerne sowohl im Club als auch im Radio hören würde, sich sehr gut als erste Single eignet. „Tintakel“ ist kurz, knackig und griffig. Außerdem kann diese Nummer sehr gut vom Rest des Albums losgelöst gehört werden. Die Geschichte ist sehr eigenständig – und grade wenn es um Vorabsingles geht, bin ich immer sehr froh und dankbar, wenn ich ein solches Stück zur Verfügung habe, das noch keine Schlüssel-Elemente aus dem Album verrät. Denn da kenne ich meine Fans dann auch so gut, dass ich weiß, dass sie gar nicht zu viel im Vorfeld erfahren möchten und dann eine Single eher noch ablehnen und sagen: „Nein, ich möchte das Album am Stück hören und genießen.“ Wenn ich aber im Vorfeld kommunizieren kann, dass das Lied losgelöst gehört werden kann, wird das viel besser akzeptiert. Das heißt, ich muss im Grunde zwei verschiedene Wünsche erfüllen: Für die bestehenden Fans darf es noch nichts verraten, und gleichzeitig soll eine solche Nummer möglichst viele neue Fans generieren.

Beim letzten Album hatten wir ein Fan-Voting gemacht, da sollten die Fans über die dritte Single entscheiden. Diese fiel auf den Titelsong „zutiefst …“, eine komplexe Achteinhalb-Minuten-Nummer, die man als Vorabsingle niemals veröffentlichen könnte. Damit würdest du keine neuen Fans zu dir locken, denn man möchte ja zu Beginn eine Art Einstiegsdroge zur Verfügung stellen. Dazu eignet sich ein kurzer, knackiger Song dann doch sehr viel besser. Wie das immer so ist, der Text erzählt eine ASP-typische Gothic-Novel-Geschichte, und daran habe ich wirklich am längsten geschrieben. Es existierten drei verschiedene Versionen, und während des Komponierens habe ich die Lyrics dann noch ein weiteres Mal umgeschrieben: nochmals kürzer und prägnanter, um dieses Destillat auf den Punkt zu bringen. Die Leute fragen mich immer: „Bitte erkläre doch einmal, was ist ASP?“ Denen kann ich nun sagen: „Ich habe euch ein Stück mitgebracht, das erklärt euch das viel besser.“ Da bin ich wirklich sehr stolz drauf, aber ob es am Ende dann auch so funktioniert wie angedacht, da steckt man nicht drin. Ich habe aber zumindest mein Möglichstes getan, dass es funktionieren kann.

Kurzum, „Tintakel“ ist Gothic Novel, mit einem gewissen Lovecraft-Flair, in Vollendung!

Asp: Danke, das gefällt mir!

Magst du von dem Tattoo-Wesen erzählen?

Asp: Das ist ebenfalls etwas, das dieser Tiefsee-Thematik entspringt, denn da gibt es noch so viel Faszinierendes zu entdecken. Tinte ist für mich z. B. etwas Besonderes, so eine Art Schreiberblut. Verbindet man dies mit Tintenfischen und Sepia, so empfindet man Tinte als etwas sehr Machtvolles. Schreiben bedeutet Leben für mich. Das heißt im Umkehrschluss: Tinte hat Macht.

Von diesem Thema ausgehend war es nur noch ein kleiner Schritt, mir selbst vorzustellen, welches Wesen so etwas verkörpern könnte. Tinte, die eine Art Eigenleben entwickelt und selbst zu einem Wesen wird. Man weiß es nicht, was es genau sein könnte.

 

Hast du selbst eine Tätowierung, die dir besonders wichtig ist?

Asp: Ich habe überhaupt keine Tätowierung, und das liegt vor allem daran, dass ich nicht das entsprechende Motiv finden kann. Andere Menschen nehmen das vermutlich sehr viel leichter, aber ich bin tatsächlich immer an meinen Zweifeln gescheitert. Ich kreise schon so lange um dieses Thema, und möglicherweise finde ich jetzt das richtige Motiv, wo es doch genau in diesem Song „Tintakel“ um ein Tattoo bzw. Tattoo-Wesen geht. Es wäre schön, wenn sich daraus wirklich etwas für die Ewigkeit entwickeln würde.

Schatten eilen uns voraus“ ist die komplexeste Nummer der CD. Brauchst du solche Songs um den Facettenreichtum beizubehalten und auch andere Seiten von dir zu präsentieren?

Asp: Ich gebe durchaus zu, dass es schon seit langer Zeit ein Wunsch von mir ist, einen 5/4-Song zu schreiben. Ich finde gar nicht, dass er so komplex ist, gerade im Vergleich zu „Abyssus 3-5“, aber es ist für unsere Hörgewohnheiten sicherlich ungewöhnlich. Trotz der außergewöhnlichen Taktart habe ich versucht, den Song so eingängig wie möglich zu gestalten. Jeder Jazzfreund würde vermutlich leise drüber lachen, aber ich mag es, dass sich das Stück mit einer progressiven Note nach oben schaukelt. Das hat mitunter mit der lyrischen Thematik zu tun, denn hier geht es um das Vorhaben, zu den Sternen zu reisen, zu fremden Planeten und Sphären. Nach dem Chorus, der den Höhepunkt darstellt, fällt das wieder zurück, genauso wie es denen geschieht, die versuchen, diese Reise anzutreten. Interessanterweise bleibt jeder, dem ich das Album vorspiele, an genau dieser Nummer hängen und sagt mir, dass dies eine Single sein sollte.

Kommen wir zu den drei düsteren „Abyssus“-Teilen, worin einmal mehr deine Metal-Wurzeln zum Vorschein kommen, speziell in dem großartigen „Abyssus 4“. Bildet diese Trilogie das Herzstück der Platte?

Asp: Aus der Erzählperspektive betrachtet ist es eher das Rückgrat als das Herzstück. Weil es im Vergleich zu den anderen Stücken den Zyklus sehr stark nach vorne bringt und Themen aufgegriffen werden, die sich durch die letzten Alben gezogen haben. Man weiß aber zum Beispiel nicht, ob der Protagonist eben in seiner Realität ist oder ob er von dem Fremden geträumt wird. Ist er er selbst oder nur ein Abbild, das ein anderer träumt oder schreibt? Wie genau sich das verhält, wird irgendwann vielleicht gelöst. Oder auch nicht. Wenn man genau hinhört, bekommt man einige Fragen beantwortet, allerdings werden auch wieder neue Fragen aufgeworfen. Das ist sehr kryptisch formuliert und zugegebenermaßen sehr experimentelle Lyrik, die da stattfindet. Der Traum im Traum oder der Spiegel im Spiegel, das sind so typische Poe-Themen, die hier immer wieder auftauchen. Es entspricht meiner Idealvorstellung, dass der Hörer Lust bekommt, sich auf diese unterschiedlichen Erzählebenen einzulassen. Aber wenn man will, kann man natürlich auch nur den Rock-Song hören und daran Spaß haben. Man muss nicht immer alles verstehen, worüber ich sinniere, und kann das trotzdem gut finden und genießen. Es ist ein Spielplatz für den Hörer, der selbst entscheiden kann, wie viele Zwiebelschichten er da abschält und wie tief er da einsteigen möchte.

„Kosmonautilus“ ist der Titelsong, ebenfalls eine Singleauskopplung und der flotteste Song auf dem Album. Auch hier die Frage vorweg nach dem Begriff Kosmonautilus und der Wahl als Überbegriff für die neue Scheibe.

Asp: Hier geht es ganz stark um das eigene Ich, das Sich-Finden und um eigene Muster. Ich will das nicht zu spirituell besetzen, aber mir ist die Aussage sehr wichtig, dass wir unser inneres Empfinden mitwachsen und bei all den schnellen Entwicklungen nicht auf der Strecke lassen. Sich damit auseinanderzusetzen und diese Reisen zu verkraften, die man in seinem Leben macht, ist eine wichtige Kernaussage darin. Man muss auf sich selbst achten und für sich Sorge tragen, dass neue Entwicklungen in einer angemessenen Zeit stattfinden. Kurzum, man darf sich selbst nicht zu sehr unter Druck setzen. Wenn es ein Stück gibt, das sehr autobiographisch ist, dann ist es „Kosmonautilus“, denn das ist meine eigene Auseinandersetzung damit, alte Muster zu durchbrechen. Ich lasse mich ja selbst viel zu oft mit meiner Kunst in ein Hamsterrad stecken, und ich glaube, dieser Blick nach innen täte uns allen viel öfter gut. Wir sind in einer Welt, die voller Entertainment und Ablenkungsmöglichkeiten steckt, sodass diese Muße-Zeiten, auf sich selbst und seinen Körper zu hören, viel zu sehr vernachlässigt werden. Zeilen wie „verfluchter Leidensweg und trotzdem Hochgenuss“ sind Aussagen, die mein bisheriges Schaffen reflektieren, und flossen sicherlich beeinflusst von unserer Jubiläumstour mit in das Album ein. Wir haben diese Nummer bereits live gespielt, und es ist wirklich toll, den Song zu performen. Das tut gut, und ich spürte sofort eine Verbindung zu den Leuten, und er wurde sehr gut angenommen.

Welcher Gedanke steckt dahinter, den Titelsong so weit ans Ende der CD zu stellen?

Asp: Das war lange Zeit so nicht klar und hat sich dadurch ergeben, dass ich nach all der Schwermut am Ende noch eine positive, klare, euphorisierende Botschaft bringen möchte. Ich versuche, ein Album immer so zu komponieren, dass es als Gesamtwerk eine möglichst schöne Wirkung bekommt. Das ist heutzutage in Zeiten von Streaming und Einzelsong-Hörgewohnheiten sehr problematisch und wird möglicherweise gar nicht mehr so deutlich wahrgenommen, aber mir ist es trotzdem sehr wichtig, dass ein Album mit all seinen Höhen, Tiefen und Kontrapunkten ein schönes Gesamtkonzept ergibt, und ich brauchte am Ende so einen kraftvollen, schnellen Song, der nochmals Vollgas gibt. Wenn sich der Hörer das gesamte „Kosmonautilus“ Album aufmerksam durchhört, so hat er nach knapp 80 Minuten emotional wirklich sehr viel erlebt, denn es ist kein leicht konsumierbares Werk. Deshalb möchte ich zum Schluss nochmals sagen: Jetzt habt ihr bitte nochmals alle Spaß!

Dem aber nicht genug, folgt auf „Kosmonautilus“ noch das englischsprachige Stück „Bones“ und beendet das Epos. Wie passt der Song für sich auf das Album, und welche Aufgabe besitzt er innerhalb des Konzeptes?

Asp: „Bones“ ist deswegen englisch, weil ich wollte, dass am Ende das „Fremde“ durch das Fremdsprachige betont wird. In der Erzählung wird unsere Hauptfigur aus den Tiefen des Meeres an den Strand geschleudert. Dort befindet er sich in einer für ihn völlig fremden Welt. Normalerweise sind die englischen Titel nicht am Ende platziert, aber dieses Mal wollte ich das unbedingt so, um diesen starken Bruch der Elemente zu verdeutlichen. In dem Song geht es sehr viel um Hoffnung und Glaube, deswegen auch der leichte Gospel-Anklang, den man bei uns so noch nicht gehört hat. Mir hat das unglaublich gut gefallen, hier auch musikalisch einige neue Strömungen zuzulassen. Es ist ein ganz wichtiger Abschluss dieses Albums, den man nicht hätte weglassen können. Dabei haben wir auf viele Stärken und Eigenartigkeiten unserer Bandmitglieder zurückgegriffen, wie z. B. eine tolle, fast schon bluesige Gitarrenmelodie von unserem Gitarristen Sören, die einen als Hörer so richtig schön dahingleiten lässt.

Unter den zahlreichen Bonustracks verbirgt sich ein weiterer Exot und ein absolutes Highlight: „Nessaja“ von Peter Maffay. Welche Kindheitserinnerungen verbindest du mit diesem wunderschönen Lied?

Asp: Ehrlich gesagt habe ich gar keine Kindheitserinnerungen an den Song, denn ich war schon groß, als ich das Stück über andere Leute bekommen habe. Als der Titel damals erschien, hatte ich gerade mein erstes Mercyful-Fate-Album bekommen, aber ich hatte natürlich Leute in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, die das hörten. Später habe ich das sehr intensiv gehört, da ich ja dieses innere Kind auch heute noch mit mir herumtrage. Aus diesem Grund konnte ich so eine Nummer damals wie heute schon immer auch genießen. Das war schon etwas Besonderes zu jener Zeit, dass es so noch nicht gegeben hatte: Rockmusik für Kinder. Ich selbst war da wie erwähnt eher auf dem Metal-Trip, aber ich habe noch nie in Schubladen gedacht. Hier wird eine wundervolle Geschichte erzählt. „Tabaluga oder die Reise zur Vernunft“ als Album ist toll, aber „Nessaja“ ist überragend! Da kommt der Rest emotional nicht ran, das ist der große Moment. Zwar wurde das Stück schon von den verschiedensten Künstlern gecovert, die eine oder andere Version davon habe ich auch gehört, und ich hoffe, dass es uns mit Respekt gelungen ist.

Selbst wenn „Nessaja“ nur ein Bonustrack ist, darf man denn darauf hoffen, dass so ein Stück eines Tages in dein Live-Set wandert?

Asp: Man soll niemals nie sagen, denn vor drei Jahren hätte ich auch noch nicht gedacht, dass „I Am a Rock“ einmal in unser Live-Programm kommt. Dieses Mal sieht es jedoch anders aus, weil unsere Set-Liste so picke-packe voller neuer Stücke ist. Wir können nicht auf eine „Kosmonautilus“-Tour gehen und nur zwei Songs daraus spielen, das käme für mich nicht in Frage. Es werden einige sein, und dennoch können wir keine drei Stunden spielen. Das heißt, es fliegen andere Stücke raus, und da dann noch eine Cover-Version einzubauen, das würde selbst mir wehtun. Aber wir werden sehen, denn danach kommen eine neue Tour und eine neue Set-Liste. Es würde auf jeden Fall Spaß machen, „Nessaja“ eines Tages live zu spielen. Die kommende Tournee wird auch einige Überraschungen in sich bergen. Songs, die sich die Fans wünschen, aber auch solche, die sie sich nicht wünschen, aber ich mir wünsche. Es ist nicht einfach, ein solches Set zu erstellen, denn selbst auf dem „zutiefst“-Album waren so viele tolle Stücke, die wir nur ungern aus dem Programm werfen, da sie neue Live-Hits für uns geworden sind. Dennoch versuchen wir bei ca. zwei Stunden zu bleiben, denn sowohl die Fans als auch die alten Herren auf der Bühne sind nach einer zweistündigen emotionalen Achterbahnfahrt natürlich platt. Das ist schön, aber auch anstrengend.

 

Wie gehst du denn bei der Wahl des Support-Acts vor, hast du dich hier schon entschieden?

Asp: Wir haben eine junge Dark-Rock-Band aus Saarbrücken mit im Gepäck, die sich Two Minds Collide nennt. Das kam dadurch zustande, dass wir uns kennen, da ihr Sänger und Hauptsongwriter Lias Schwarz zuvor bei der Band Spielbann mitgewirkt hatte, an der ich selbst nicht ganz unbeteiligt war. Wir haben uns nicht aus den Augen verloren, denn Lias ergänzte uns auf der Jubiläumstour, als wir uns den Spaß gegönnt haben, unsere eigene Support-Band zu sein. Dafür holten wir uns Lias noch zusätzlich ins Boot, und so kam es, dass seine neue Band die erste Wahl für die kommende Tournee war. Denn was gibt es Schöneres, als mit Freunden gemeinsam unterwegs zu sein? Das wird eine interessante Kombination, denn die Band macht ordentlich Alarm und spielt ein amtliches Rockbrett. Sie haben ein tolles Album gemacht, und ich freue mich wirklich sehr darüber, dass sie uns begleiten.

 

Das Album besitzt ein extravagantes und sehr aussagekräftiges Cover-Artwork, geschaffen von Thomas Klieber, und ist im Innenteil mit weiteren Bildern sowie tollen Fotos von Heilemania illustriert. Abermals gelingt dir damit ein tolles Gesamtpaket, worauf du stets sehr viel Wert legst.

Asp: Dieses Artwork hätte ich so nicht für möglich gehalten. Ich war sehr happy mit dem, was Timo Wuerz in den vergangenen Jahren für uns getan hatte, und dem Meisterwerk, das er mit „zutiefst“ abgelegt hat. Aber ich wollte für „Kosmonautilus“ eine andere Bildsprache benutzen und bin von dem Ergebnis unglaublich begeistert. Die Bilder, die wir nun haben, machen das Ganze unheimlich wertig und die einzelnen Formate, wie z. B. das Earbook so viel kostbarer. Wir hatten eine Planungsphase von rund zwei Jahren mit Thomas angesetzt, und ich musste mich früh entscheiden, was ich da sehen möchte, noch bevor ich überhaupt eine Note geschrieben hatte. Das wir dazu dann auch noch tolle, passende Fotos bekommen haben, war ein unfassbares Glück. Welche Bilder Heilemania in seinem Kopf entstehen lassen kann, macht mich sprachlos. Das war ein unfassbar konstruktives, zielgerichtetes Arbeiten, das mich unheimlich beeindruckt und mir sehr viel Spaß gemacht hat. Beide wussten genau, wie sie am Ziel ankommen. Dabei hatten wir viele verrückte Sachen gemacht, die wir alle noch ins Layout einbinden wollten, und am Ende vieles anders gemacht, als ursprünglich geplant war.

 

Das Booklet verspricht am Ende: Fortsetzung folgt. Du hast also noch lange nicht genug, was den „Fremder“-Zyklus betrifft?

Asp: Das ist richtig, aber dennoch wird das kommende Album den Abschluss des „Fremder“-Zyklus bilden. Das habe ich auch bereits in den Bonus-Logbüchern verraten, und nun muss ich mich daran auch halten. Notfalls wird es dann eben ein Doppelalbum, sollte ich mich nicht kurzfassen können. Ich weiß auch schon, was danach kommen wird. Es wird eine spannende Aufgabe, diesen Zyklus zu einem Ende zu bringen. Ich weiß, was passieren soll, doch das ganze Drumherum steht noch in den Sternen.